Wie Pflanzen Zucker transportieren

Pflanzen haben ein Adersystem, das wie der Blutkreislauf dazu dient, Stoffe zwischen verschiedenen Organen hin- und herzutransportieren. Das wichtigste Transportgut ist gelöster Rohrzucker (Saccharose), den nicht nur die Blätter, die ihn erzeugen, sondern auch alle anderen Pflanzenteile lebenswichtig brauchen. Einige Pflanzen überführen einen Teil des Zuckers zudem in Nährstoffspeicher, die Kartoffelpflanze etwa in ihre Knollen. Die Anatomie des Leitungssystems ist schon lange bekannt, doch seine Funktionsweise erschließt sich erst jetzt durch Forschungen auf molekularem Niveau, wie sie seit einigen Jahren in der Arbeitgruppe des Tübinger Pflanzenphysiologen Prof. Dr. Wolf Frommer betrieben werden. Neueste Ergebnisse darüber, wie der Zucker in das Transportsystem hinein gelangt, publizierte sie nun in der renommierten Zeitschrift Science.

Das Äquivalent zu einem Blutgefäßsystem ist in höheren Pflanzen das System der Leitbündel. Es ist nicht als Kreislauf organisiert, sondern ähnelt eher den Straßen einer Stadt, wie sich an Blättern gut erkennen läßt, wo es sich als Adernetz abzeichnet. Im Mikroskop zeigt sich, daß die Zucker transportierenden Elemente der Leitbündel in Wirklichkeit in Längsrichtung aneinandergrenzende Zellen sind. Sie werden Siebelemente genannt, weil die Zellwände zwischen ihnen von zahlreichen Poren durchsiebt sind, durch die ein direkter Durchgang von Zelle zu Zelle möglich ist. In diesen Zellen - und nicht etwa in einem Hohlraum zwischen ihnen - läuft also der Transport des gelösten Zuckers ab. Unbekannt war bisher, wie der Zucker überhaupt aus den zuckerproduzierenden Nachbarzellen in die Siebröhren gelangt und wie es möglich ist, daß er darin die hohe Konzentration von 300 Gramm pro Liter erreicht. Nun wissen die Tübinger Wissenschaftler eine Antwort.

Schon 1993 entdeckte Prof. Frommer mit seiner Gruppe durch genetische Methoden, daß Pflanzen über das Gen für ein Protein verfügen, das Zucker unter Energieverbrauch durch Zellmembranen hindurch befördert. Sie nannten das Protein nach der amerikanischen Bezeichnung für Rohrzucker 'Sucrose Transporter 1', kurz SUT1. Welche Pflanzenzellen dieses Protein aber tatsächlich herstellen und benutzen, war damals noch unklar. Jetzt konnten die Tübinger in Zusammenarbeit mit Laboratorien in Kiel und Washington State (USA) zeigen, daß SUT1-Moleküle in Tabak-, Tomaten- und Kartoffelpflanzen ausschließlich in den Zellmembranen von Siebelementen anzutreffen sind. Jedes SUT1-Molekül arbeitet dort als kleine molekulare Pumpe, die Zucker aus der Umgebung in das Siebelement hineinschafft. Wie existentiell wichtig diese Pumpen für die Pflanzen sind, konnten die Wissenschaftler anhand von Pflanzen beweisen, bei denen sie die Bildung von SUT1 stark verminderten: Diese Pflanzen waren in ihrem Wachstum gehemmt und ihre Blätter zeigten auffällige Veränderungen in Form und Farbe, da sie nicht mehr in der Lage waren, die tagsüber hergestellten Zucker aus den Blättern abzutransportieren.

Die Siebelemente passen die Anzahl der SUT1-Moleküle den Bedürfnissen der Pflanze an. In der Nacht, wenn mangels Photosynthese kein Zucker produziert wird, demontieren sie einen guten Teil von ihnen, die sie am darauffolgenden Tag durch neue ersetzen müssen. Wie dieser Ersatz funktioniert, war zunächst ein Rätsel, da für die Neuproduktion von Proteinen normalerweise ein Zellkern erforderlich ist. Den jedoch haben die Siebelemente, die sich ganz auf ihre Aufgabe als lebende Transportröhren eingestellt haben, abgeschafft. Die Tübinger entdeckten nun eine besondere Form von "Nachbarschaftshilfe" durch die den Pflanzenanatomen schon lange bekannten Geleitzellen, die unmittelbar neben den Siebelementen liegen. Sie enthalten einen Zellkern und sind zu Biosynthesen aller Art befähigt. Durch Plasmodesmen - Verbindungskanäle, die noch viel enger als die Siebporen sind - schicken sie den Siebelementen 'Hilfslieferungen' zu. Diese enthalten unter anderem messenger-RNA für SUT1; also Abschriften des SUT1-Gens, aufgrund derer sich die Siebelemente die benötigten Proteine selbst herstellen können. Momentan wird untersucht, ob die Geleitzellen darüber hinaus auch selbst SUT1-Moleküle herstellen, die sie durch die Plasmodesmen in die Siebelemente schleusen.

Mit SUT1 ist ist ein zentrales Element des pflanzlichen Zuckertransports gefunden. Langfristig wollen die Tübinger aber den gesamten Weg des Zuckers aufklären, vom Blatt bis zur Wurzel.

Literatur: Christina Kühn, Vincent R. Franceschi, Alexander Schulz, Remi Lemoine & Wolf B. Frommer. Macromolecular trafficing indicated by localization and turnover of sucrose transportes in enucleate sieve elements. Science No. 5304, Vol. 275, 28 February 1997.

Nähere Auskünfte:

Dr. Christa Kühn und (ab 17.3.97) Prof. Dr. Wolf Frommer
Universität Tübingen
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